Die Opfer von Hanau sind nicht vergessen

Die Opfer von Hanau sind nicht vergessen

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 19. Februar 2020 wurden in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet: Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin. Danach tötete der Mörder seine Mutter und sich selbst.

In wenigen Minuten starben neun junge Menschen, die ihren Abend mit Freunden verbrachten, die gearbeitet haben oder sich etwas zu essen gekauft haben: Morde, so wahllos und doch so gezielt, weil der Täter Menschen mit Migrationsgeschichte töten wollte. Das war sein Motiv.

Unsere Solidarität gilt den Angehörigen der Opfer, unsere Solidarität gilt den Überlebenden von Hanau.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Hanau ist kein Einzelfall und rechter Terror kein neues Phänomen. Das Oktoberfest-Attentat, Rostock, Mölln und Solingen, die Mordserie des NSU, München, der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag auf die Synagoge in Halle, Hanau – über 200 Menschen wurden seit 1990 durch rechte Gewalt getötet. Immer wieder trauern Familien, fühlen sich Menschen schutzlos, werden Opfer, verdächtigt. Erinnern wir uns an den Umgang mit den Familien der NSU-Opfer, die kriminalisiert wurden, statt Hilfe zu erfahren, weil man nicht glauben wollte, dass die Täter rechte Terroristen sind.

Rechter Terror und rechte Netzwerke wurden viel zu lange verharmlost und nicht ernst genommen, und die Opferfamilien von Hanau fordern Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen – Erinnerung, damit die Tat und die Namen der Opfer nicht vergessen werden. Es darf keinen Schlussstrich geben.

Aufklärung heißt, Fehler der Behörden im Vorfeld und in der Tatnacht zu untersuchen. Armin Kurtović, Hamzas Vater, vermutet, dass vieles anders gelaufen wäre, wenn die Opfer Stefan und Marie geheißen und in Waldis Bierkeller statt in einer Shishabar gesessen hätten. Wäre auch ein schwerverletzter Deutscher ohne Migrationshintergrund von der Polizei als Erstes nach seinem Ausweis gefragt und die Abfahrt des Krankenwagens verzögert worden?

Die Initiative „19. Februar“ und die Angehörigen haben versucht, den Verlauf der Tatnacht zu rekonstruieren. Sie stießen auf viele Ungereimtheiten und sprechen von einer Kette des Versagens. Warum besaß der Täter legal Waffen, obwohl er auffällig war? Warum liefen in der Nacht Notrufe ins Leere, auch die von Vili Viorel Păun, der den Täter verfolgt hat, der Menschen schützen wollte und dabei ermordet wurde? Welche Rolle spielt der Vater des Täters, der das rassistische Weltbild seines Sohnes teilt, der die Tatwaffen zurückverlangt hat und der weiterhin in der Nachbarschaft der Opferfamilien wohnt? Warum gab es nach der Tat Gefährderansprachen an die Opferfamilien, warum keine Gefährdetenansprachen?

Diese Fragen quälen die Familien seit zwei Jahren, und in Hessen wird versucht, in einem Untersuchungsausschuss diese Fragen jetzt in Teilen zu beantworten. Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, Fehler und Verantwortung nicht benannt sind, kommen die Familien nicht zur Ruhe. Und sie haben ein Recht auf Aufklärung, sie haben ein Recht auf Konsequenzen und auf Unterstützung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer rechte Gewalt und rechten Terror beenden will, der muss die rechten Netzwerke erkennen, der muss die Szene konsequent entwaffnen. Es muss Schluss sein mit dem Gerede von Einzelfällen und Einzeltätern. Und wir müssen den strukturellen, den alltäglichen Rassismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen und auch in staatlichen Institutionen bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus dürfen keinen Platz haben.

Und hören wir den Menschen zu, wenn sie erzählen, wie entwürdigend es ist, immer und immer wieder anlasslos in Polizeikontrollen zu kommen, wie schwierig es ist, mit einem nichtdeutschen Namen eine Wohnung zu finden, dass man bei der Polizei oft nicht ernst genommen wird oder sogar verdächtigt wird, wenn man doch Hilfe sucht.

Ferhats Mutter Serpil Unvar fragt: Warum müssen Eltern ihren Kindern erklären, dass sie sich in der Schule mehr anstrengen müssen, weil sie nicht die gleichen Chancen haben wie andere? Dieses Gefühl, nicht dazuzugehören, anders behandelt zu werden, Vorurteilen ausgesetzt zu werden, das müssen wir überwinden. Die Diskriminierungen bei der Arbeitsplatzsuche, bei Behörden, auf dem Wohnungsmarkt und in der Schule müssen beseitigt, der strukturelle Rassismus bekämpft werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und wir müssen die geistigen Brandstifter benennen, die für ein Klima sorgen, in denen sich Täter ermutigt fühlen. Wer von Messermännern, Kopftuchmädchen und anderen Taugenichtsen spricht, wer Muslime, Migranten und Geflüchtete diffamiert, die Verbrechen der Nazizeit relativiert, wie die AfD das tut, schafft einen Nährboden für rechte Gewalt.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Solidarität gilt den Menschen, die Opfer von rechter Gewalt und Bedrohung werden, und unsere Solidarität gilt all denen, die sich tagtäglich gegen Rassismus engagieren, die sich den Rechten in den Weg stellen; denn die sind doch der beste Verfassungsschutz in diesem Land.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Gegen die Gefahr von rechts brauchen wir breite Mobilisierung, wir brauchen Bündnisse wie die „Omas gegen rechts“, wie „Black Lives Matter“, wir brauchen Antifa-Bündnisse –

– und „Aufstehen gegen Rassismus“. Zivilgesellschaftliche Initiativen und Beratungsangebote müssen gestärkt und finanziell besser ausgestattet werden.

Und zum Schluss: Die Opfer von Hanau sind nicht vergessen. Ihre Angehörigen fordern zu Recht: Hanau darf keine weitere Station des rechten Terrors sein, Hanau muss die Endstation sein.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)